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- Schenken heißt immer auch fröhlich Ein-Schenken!
- Schenken legt eine Spur
- Der „Pfad der Kuh“
- Zwischen Freiheit und Abhängigkeit
- Gesteigerte Freude: „Weihnachtsfreude“!
- Weihnachtsfreude – ganzjährig
- Geben ist seliger denn Nehmen!
- Rollen muss der Rubel!
- Der ‚Prophet mit der spitzen Feder’
- Treffgenaue Diagnosen
- Spielzeug für Erwachsene
- Denken heißt Danken!
- Dankbarsein ist ein Können
- Chesterton im Original
- Die Freudenquelle
- Der größte aller Bumerangs
- Das globale Fest
- Der entscheidende Blickwechsel
- Weitere Chesterton-Zitate
- Literatur
- Links
- Anmerkungen
Schenken heißt immer auch fröhlich Ein-Schenken!
Spende nur, wenn du fröhlich bist! ‘Schenke nur, wenn du auch ‚Freude’ bereiten möchtest!’ Neige die Flasche, „wenn dir froh ums Herz ist, und nicht wenn du dich schlecht fühlst!“1 Freigiebiges Schenken fließt aus sich selber, ist erst einmal kräftig ein-geschenkt, so lauten Ratschläge des englischen Nationalschriftstellers G. K. Chesterton (1874 – 1936), . Was zuerst abwegig klingen mag, entspricht aber ganz dem Wortsinn: Geschenk ist, was dir ein-geschenkt wurde! Durchaus also lässt sich mit Chesterton sagen: „Geben und Schenken“ ebenso wie das „Trinken von Bier und Wein“ gehören zum „Normalsten der Welt“!2
Schenken legt eine Spur
Wenn nicht sogar alles Menschsein – wie die vedischen Schriften Alt-Indiens besagen – damit beginnt, eine ‚Spur des Gebens’ zu legen. Das Praktizieren von Schenkritualen im Alltag zeugt von bewusster Menschlichkeit. Im großzügigen Geben setzt sich Menschsein von bloßem Vegetieren ab. In solchen ‚Umsonst-Ritualen’ wie täglichen ‚Trankopfern’, zeichnen sich alle frühen Kulturen aus. Mit einem bisschen „Milch“ etwa, das sie „dem Feuer übergeben“, führen bis heute viele Haushalte Indiens dieses Jahrtausende uralte Ritual fort. Ganz ohne dass sie deswegen einer fixierten Religion angehören müssten. Und auch ohne, dass sie dazu priesterlichen Beistands bedürften. So wenig wie der fürs englische ‚Tee-Ritual’ des ‚Five o’Clock Tea’ vonnöten ist.
Der „Pfad der Kuh“
Aber selbst im Alltagsbrauch hallt noch etwas von dieser Spur des freimütigen Gebens nach. Indien spricht vom „Pfad der Kuh“. Denn solche tägliche Übung des freiwilligen Trankopfers hält eine ‘Grenzspannung’ aufrecht. Man darf sie ein ‘Training’ nennen, das den Rückfall vom Menschlichen ins Tierische verhindern soll. Denn in einem waren sich die Vorfahren einig: Wer nicht den ‚Pfad des Gebens’ beschreitet und damit den ‚dünnen Faden’ stärkt, der jederzeit leicht auch wieder reißen kann, der hat als ‚Mensch’ nie existiert. Menschliches Sein erhält sich im Kultivieren jener feinen, zarten Spur. Sie er-gibt sich. Sie folgt, sie fließt heraus aus der stetigen Praxis des Gebens und Aus-Gebens. Kurz gesagt:
Erst das (Aus)-Schenken aus freien Stücken macht den Mensch zum Menschen!
Zwischen Freiheit und Abhängigkeit
Demnach sollte es nicht mehr irritieren, wenn Chesterton darauf insistiert: „Trinken zählt zum Besten auf Erden!“ Wiewohl er weiß, dass „die Trunkenheit zum Schlimmsten“ gehört.3 Denn Trinken und Trunksucht stehen für zwei Welten. Sie sind bitte nicht zu verwechseln! Das freudige Schenken entspringt dem spontanen Herzensimpuls, das andere, das mafiöse, vorsätzliche Schenken, will dagegen in Dankesschuld versetzen und Abhängigkeiten erzeugen. Doch dabei handelt es sich um äußerste Gegensätze – auch wenn die auf paradoxe Weise oft eng miteinander verflochten sein können. Der Grat zwischen Freiheit und Abhängigkeit ist eben oft sehr schmal. Wenn ihn einer zu gehen wusste, dann sicher Gilbert Keith Chesterton. Nicht zufällig gilt er als der „Meister der Paradoxe“.
Sätze, wie die eben zitierten, gab er auch in feucht-fröhlicher Kneipenrunde zum Besten. Mit den ‚common man’ saß der Liebhaber des ‚common sense’ oft und gerne zusammen. Und womöglich trinkt, schreibt und palavert er noch immer in einem „fliegenden Wirtshaus“, wie einer seiner Romane betitelt ist. Dort wird er zu finden sein: in irgendeinem pub, inn oder barrel house, in einer ‘Schenke’ „am Ende der Welt“. An einem ‘Ausschank’, wo „alle Wege enden“, wo „sich alle Seelen treffen“ und wo das „jüngste Gericht“ darauf wartet, genüsslich verzehrt zu werden…
Gesteigerte Freude: „Weihnachtsfreude“!
Allseits beliebt, um keine Antwort verlegen, immer einen Scherz auf den Lippen, so darf man sich Chesterton, den Drei-Zentner-Mann, vorstellen. Und man hätte mit diesem Bild doch nur die eine Hälfte der Wahrheit erfasst. Denn seine ansteckende Fröhlichkeit ist ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Sie ist erkämpft und erarbeitet, und rührt wesentlich von einer bestimmten Freude her, die ihn durchs Jahr getragen hat. Die Rede ist von der so besonderen „Weihnachtsfreude“ und „Weihnachtsstimmung“, die sich für viele nur einmal im Jahr einstellen will – und selbst da meist nicht so pünktlich und so abrufbar wie gewünscht.
Chesterton hat dieses Fest ganzjährig ‘gelebt’. Schade ist es daher um jede Weihnachtsfeier, bei der nicht wenigstens einmal der Name Chesterton fällt. Denn ihm kommt das seltene Prädikat zu, das ihm Bibelkundler Marius Reiser zugesteht: Demnach kommt Chesterton als der bisher einzig bekannten Person zu, das Prädikat „weihnachtlicher Mensch“ zu tragen.4
Weihnachtsfreude – ganzjährig
Zumindest von einer Person also lässt sich sicher sagen, dass ihr gelungen ist, ‚ganzjährig’ aus der Weihnachtsfreude heraus zu leben und daraus Kraft zu schöpfen! Oder, um genau zu sein: Zweien ist das gelungen: dem Ehepaar, Gilbert und Frances. Zwar sind ihnen keine eigenen Kinder beschieden gewesen, dfür aber haben sie ihr Haus durchgehend den Kindern der Umgebung geöffnet. Und ihnen Jahr für Jahr auch ein ‚besonderes’ Weihnachtsfest bereitet.
Kein Thema ist es daher dass Gilbert – „Mr. Tame Lion“ oder „Uncle Chestnut“, wie ihn die Kinder nennen – zu diesem Anlass sein Puppentheater öffnet. Der Hüne krabbelt dann auf allen Vieren herum, gibt Sondervorstellungen und kreiert sogar eigene Stücke dafür. Ehrensache, so versteht sich, ist es auch, dass er zu Weihnachten ins Kostüm von „Father Christmas“ schlüpft, und jedem Kind sein „persönliches Geschenk“ auf „persönliche Weise“ überreicht.
Und auch Frances steht dem in nichts nach, sorgt nicht nur für die Plätzchen und den unverzichtbaren Plumpudding, sondern steuert selbstverfasste Lieder und Gedichte bei. Zu Weihnachten herrscht bei den Chestertons also unverbrüchlich eine Devise „Wir müssen draußen bleiben!“ Wir Erwachsene, so ist damit gemeint, haben an Weihnachten vor der Tür zu bleiben! Nur Kinder haben Zutritt! Somit verordnen die Chestertons der gedankenlosen Herablassung, die Erwachsene Kindern gegenüber gewöhnlich zeigen, an Weihnachten ‚Pause’!
Geben ist seliger denn Nehmen!
Auch übers Jahr hin ist Chesterton, der Journalist und übersprudelnde Vielschreiber, dem die Fantasie niemals ausgeht, ein Geber. Er gibt gerne und er gibt oft. Zumal den Armen Londons seiner Zeit ihr Armsein deutlich anzusehen ist! Anders als dies bei der verdeckten, ‚verschämten’ Armut heute der Fall ist. Er gibt ihnen den letzten Penny, den er gerade in der Tasche trägt. Auch beteiligt er sich nicht selten an Spenden- und Hilfsaktionen. Ganz wie der Kleinspender ‘El Pepe‘, den ein weiterer Blogbeitrag vorstellen wird, gibt er ‚leichten Herzens’. Was bei weitem nicht bedeutet, dass er ‚leichtfertig’ gäbe. Nein, sein Verhältnis zur “schrecklichen Mystik des Geldes” ist durchaus ein differenziertes und distanziertes.
Unter anderem als Herausgeber einer Zeitung versteht er sich aufs Haushalten und weiß sehr gut, wie Etats zu verwalten sind. Privat dagegen, ist er besorgt darum, dass er abends unbedingt mit leeren Taschen nach Hause kommt: Er hätte sonst ‚zu wenig’ gegeben! Einer wie Chesterton, der sich darauf versteht, zusammen mit seinem Bruder Cecil, ‚undercover’ Korruptionsskandale aufzudecken – so wie den ‚Marconi-Skandal’, der in Regierungskreise reicht und ganz England erschüttert –, der muss umfassende Einsicht ins Geldwesen besitzen! Aber Chesterton, der auch bekannt ist als der beste ‚Debater’ seines Landes, besitzt eben auch im Privaten die Kraft, den ‚Systemzwang’, den das Geld unausgesetzt ausübt, nicht auf sein Denken übergreifen zu lassen.
Rollen muss der Rubel!
Bevor ihn das Geld drücken und den Verstand vernebeln will, gibt er es lieber schnell aus. Weg damit! Unter die Leute damit! Dorthin, wo es nötig gebraucht wird – hier und heute – und wo es nach Lage der Dinge durch keine andere substanzielle Hilfe ersetzbar ist. Ganz im Sinne des ‚Distributismus’, den er in seinem Blatt ‚G.K.’s Weekly’ vertritt: Denn er hat nichts gegen echten Wohlstand und Reichtum einzuwenden, außer dass der ‚distributiv’ sein sollte. Reichtum sollte für alle ‘erfahrbar’ sein, distributiv, d.h. breit ‘verteilt’ sein. Das ist er er aber erst dort, wo für alle reichlich ‘eingeschenkt’ ist. An solchem Maßstab gemessen, besagt ein reiner ‚Geld-Index’ wie das ‚BIP’ zum allgemeinen Wohlergehen wenig.
Der ‚Prophet mit der spitzen Feder’
Zu Recht gilt Chesterton als ‚prophetischer Denker’. Denn niemand hat wohl früher und genauer den Schlamassel beschrieben, in den die heutige Welt geraten ist, wenn sie sich auf einem Planeten wiederfindet, den sie bis an den Rand der Bewohnbarkeit heruntergewirtschaftet hat. Wobei der Ruin ja lediglich die voraussehbare Folge jener „ökonomischen Tyrannei“ ist,5 die Chesterton unablässig anprangert. Es ist eben „zu einfach“, und also nur „schrecklich“, wenn es ein paar wenigen Reichen gelingt, ganze Gesellschaften zu ihren Lohnsklaven zu machen, sich dazu auf vermeintliche Sachzwänge zu berufen und durch fadenscheinige wissenschaftliche Erkenntnisse und staatlichen Bürokratismus stützen zu lassen. Chesterton kennt solche Tyrannei nur zu gut als den überkommenen „englischen Imperialismus“ und die “Plutokratie” (Geldherrschaft), gegen die er nimmermüde wettert.
Mittlerweile herrscht diese Despotie freilich global. Sie reicht bis in die letzten Winkel hinein, und sie ist sich nicht einmal zu schade – wie man seit 2008 wissen darf –, sobald sie zu kollabieren droht, sich von ihren eigenen Abhängigen ‚freikaufen’ und ‘retten’ zu lassen. „Verschwendung“ und „Vermüllung“ sieht auch schon Chesterton zu seiner Zeit als die unvermeidlichen Folgen. Und mittlerweile ist die gesamte Biosphäre berührt und sogar der Weltraum zur Schutthalde gemacht worden.
Treffgenaue Diagnosen
Chesterton dagegen macht die Schäden aus, lange bevor sie eingetreten sind. Er kennt auch bereits die Versuchung, die Augen zuschließen und sich reaktionären ‚Rollbacks’ hinzugeben, wie sie sich in Gestalt von Populismus und allerlei Politclownerien ausbreiten. Auch beschreibt er zutreffend den Overkill der Medien, noch bevor die das Ausmaß einer reinen Informationsgesellschaft erreicht haben. Als Journalist kennt er ja bestens diese Welt der sich überschlagenden Null-Nachrichten, nach denen sich niemand ‘richten’, sondern nur darin ‘ertrinken’ kann. Um hundert Jahre im Voraus spürt er bereits das ‚Cocooning’, die Neigung sich in ‘Filterblasen’ zurückzuziehen. Obwohl die Gerätschaften dazu – die ‘little Helpers’ und smarten elektronischen Gadgets – noch gar nicht erfunden sind, sind ihm die Versuchungen des ‚Sich-Einigelns’ in private oder identitäre, nationale Schlupfwinkel längst vertraut.
Spielzeug für Erwachsene
Mobile Endgeräte laden ja mehr denn je dazu ein, sich in in Filterbubbles zu verkriechen, in Cyberwelten abzutauchen oder sich die Ohren zuzustöpseln! Chesterton weiß bereits vor hundert Jahren: Lernen wir erst „wie losgelöste Luftblasen“ zu schweben, „frei, jeden Augenblick überall hinzutreiben, schwindet bereits der Mut, ein gewöhnliches Gespräch zu beginnen“.6 – „Wer sich Lautsprecher ins Ohr stöpselt, stopft sich zugleich den Knebel in den Mund, der ihn stumm werden lässt.“ – Derlei technisches Spielzeug für Erwachsene ist nicht nur „harmlos“. Es kann auch den „Verlust aller Proportion“ bedeuten: „Das eigene Haus und den eigenen Kopf mit Stimmen zu füllen, auf die man nicht antworten kann, mit Schreien, die man nicht erwidern kann, mit Argumenten, auf die man nicht eingehen kann, mit Gefühlsäußerungen, denen man weder applaudieren noch sie anprangern kann, mündet in ein halbiertes Leben.“7
Denken heißt Danken!
Doch was befähigt Chesterton zu solcher Vorausschau? Besitzt er die ‚Kristallkugel’, die in die Zukunft blicken lässt? Ist er ein ‚geborenes Genie’? Hilft ihm ein ‚überragender Verstand’? Was lässt ihn klaren Kopf in schwerer Zeit bewahren? Was erhält ihm seine profunde Urteilskraft? Was befähigt ihn zu prophetischen Aussagen, die sich erst hundert Jahre nach ihrer Äußerung als solche erweisen?8
Wie kann er die Gegenwart von heute trefflicher beschreiben als mancher Historiker die Vergangenheit? Welche Eigenschaft hat ihn vor den „leeren Debatten“ seiner Zeit „gerettet“ und nicht im weltanschaulichen Allerlei versinken lassen? Im Gedankenbrei, der sich „Soziologie“ nennt, aber außer sich selbst nichts zu lehren hat?9 In Theorien, die an das Rätsel, das der Mensch sich selber ist, auch nicht ansatzweise heranreichen? Was Chestertons ‚prophetisches Denken’ „gerettet“ hat, liegt nach seiner Aussage – einigermaßen erstaunlich – nicht an einem überragenden Talent, nicht am Genie, sondern es hängt am „dünnen Faden des Dankes“.10
Dankbarsein ist ein Können
Dieser “zarte Strang“ ist es, der ihn dazu angeleitet hat, tagtäglich „Dankenswertes“ zu suchen und es auch zu finden. Immer genug jedenfalls, um daran “anknüpfen” und sich daran „klammern“ zu können! Solches Dankbarsein, das Dankbarsein-‚Können’, hat ihn ‚erwachsam’ werden lassen für die Quelle unversieglicher Freude. Denn wenn es eine Eigenschaft ist, die ihn charakterisiert, die ihn so anspruchslos und bescheiden sein lässt und gleichzeitig so humorvoll und voller Güte, dann ist es diese Freude am Erblicken schöner Dinge, die sich im Danken und Mit-Teilen noch einmal “verdoppelt”. Es ist diese erlesene Freude, wie sie aus der Dankbarkeit strömt, die Chesterton von seinem gesamten Zeitalter unterscheidet!
Chesterton im Original
Du sagst Danke vor dem Essen. – Gut so.
Aber ich sage Danke vor dem Theaterstück und der Oper,
Und Danke vor dem Konzert und dem Krippenspiel,
Und Danke bevor ich das Buch öffne,
Und Danke vor dem Skizzieren, Malen,
Schwimmen, Fechten, Boxen, Spazierengehen, Spielen, Tanzen;
Und Danke, bevor ich den Stift in die Tinte tauche.11
Die Freudenquelle
Chestertons Antriebsquelle ist damit offengelegt: Sie speist sich aus dem Empfinden, dass sich menschliche Existenz rundherum ‚verdankt’. Indem sich Chesterton in Dankbarkeit ‚übt’, bewahrt er sich lebenslang den kindlichen Blick auf die Welt und bleibt somit gefeit, Machbarkeitsgelüsten zu verfallen. Wenn Kindheit darin besteht, sich zu ‚verdanken’, dann handelt es sich bei dem Zwei-Meter-Mann zwar um einen besonders großen Kindskopf, dafür aber auch aber um einen, der sehr ‚bewusst’ aus kindlichem ‚Staunenkönnen’ heraus zu leben versteht.
Wenn das denn ein ernstes Vorhaben darstellt, das ‚Staunen’ zu erlernen, und unbedingt seine ‚kindliche Freude’ zu bewahren, so muss man ihm bescheinigen: Diese Aufgabe hat er mit Bravour bewältigt. Und er ist über seinem Bemühen zu einem hellsichtigen „Augenathleten“ und „Propheten“ geworden. Alles, was ihm vor Augen tritt, bemisst er am Maß der Krippe von Bethlehem.
Ungewöhnlich genug, bekennt hier ein Schriftsteller von Rang, dass und wie sehr er seine Existenz einem kleinen Ereignis namens „Weihnachten“ verdankt! Dem bleibenden „Anfang, der nicht endet“,.2 Ganz offenbar strahlt er so viel Kraft aus, dass er auch noch den erwachsenen Mann beflügelt. So sehr, dass der aus dem Staunen nie wieder herauskommt!
Der größte aller Bumerangs
Weihnachten ,sagt Chesterton, ist der „größte aller Bumerangs“,13 denn es holt immer wieder neu ein. Mag sein, dass der Ursprung des Festes weitgehend vergessen ist, mag auch sein, dass es seine lokale Herkunft längst abgestreift hat, als ‚Geschenk-Fest’ aber haben es die Menschen fest für sich adoptiert. Es erweist sich als unentbehrlich. Wie kein anderes Datum schenkt es die Gelegenheit, die ‚Freiheit des Schenkens’ überhaupt praktizieren zu ‚können’. Deswegen soll es nicht gänzlich der „ökonomischen Tyrannei“ zum Opfer fallen, die nur noch einen einzigen Modus der Existenz kennt: die bare Zahlung!
Das globale Fest
So oft aber Weihnachten gefeiert wird, tut sich darin ein „dauerhafter Protest fürs Geben“ kund.14 Dieser Impuls, dies Haltung – das verstehen die unterschiedlichsten Kulturen der Welt sehr gut(!) – muss um des Erhalts der Menschlichkeit willen unbedingt bestehen bleiben . Und so ist es nur konsequent, dass Weihnachten, das Schenk-Fest, zum globalen Fest geworden ist. Länder wie Indonesien oder Japan feiern es sogar noch exzessiver als Europa. Häuser, Autos, halbe Vermögen werden hier an einem einzigen Tag verschenkt. Und der Einzelhandel macht seinen halben Jahresumsatz an wenigen Tagen im Advent.
Dennoch, auch wenn der äußere Anschein es nahelegt, findet dabei kein ‚Konsumrausch’ statt. Nicht ‚Black Friday’, sondern das genaue Gegenteil! Freilich bringt der Anlass auch das Elend mitten in der „ökonomischen Tyrannei“ heraus, wenn sich Menschen, nur um ein Geschenk in der Hand halten zu können, genötigt sehen, dies allein übers ‚Kaufen’ zu tun. Wenn es zuletzt doch Waren sind, die ‚gekauft’ werden, dann freilich nicht nicht aus Konsumbedürfnis heraus, sondern um sie ‚geben’ zu können. Um sie also ‚umwidmen’ und in Geschenke ‚verwandeln’ zu können! Für alles andere fehlt gewöhnlich die Zeit oder die Fantasie. Aber so offenbart sich, wie arg die Fähigkeit zum eigenen Tun, z.B. zum ‚Selber’-Basteln von Geschenken, bereits allgemein verkümmert ist.15
Der entscheidende Blickwechsel
Erst wo ein Mann zulässt, dass „ein Kind zum Vater des Mannes wird“ (W. Wordsworth), qualifiziert ihn das zum Vatersein, zur Elternschaft. Blicken Menschen zudem gemeinsam auf ein Kind – auf die Krippenszene! –, lässt sie das ihre Geschwisterlichkeit entdecken. Und dieser Blick, dieses Weihnachtserlebnis ist es, an dem alle blutigen Kulte zerbrechen und alle herodischen Machthaber straucheln. In Hinsicht auf das ‘Kind’ gehen sämtlichen mythischen Vorstellungen von Göttern und einem Herren-Gott zugrunde. Hierin liegt der tiefere Grund von Weihnachten. Und deshalb, so Chesterton, entstehen seit Bethlehem „keine neuen Mythen mehr“.16 An Weihnachten vollzieht sich dieser radikale Blickwechsel, wonach “das Höchste nur von unten her“, vom Kind her, kommen kann.
Weihnachten zu feiern, heißt daher „alles darauf auszurichten, dass ein Haus so präpariert ist, dass jenes Kind geboren werden kann“, das still darauf wartet, als der Vater aller geschwisterlich Geborenen adoptiert zu werden.17 Wo immer und wann immer Menschen also derart ein Kind zu ihrem Leitstern werden lassen, da erneuert sich der Grund für das so kostbare und feinsinnige Fest, das so stark ist, um aus dem „Bekenntnis zur menschlichen Schwäche“18 eine frohe Feier zu machen: Weihnachten!
So sagt es G. K. Chesterton, der freudige Geber, der ‘Ganzjahres-Weihnachter, und das unübersteigbare Vorbild, ohne das ein ‘Spendenblog’ nicht auskommt.
Einige Chesterton-Zitate:
- Noch nichts ist erreicht, wenn das Spenden sich darauf
beläuft, Bedürftigen etwas zu geben und sich nicht darin
erfüllt, den Freudlosen Freude zu bringen.19 - Wohltätigkeit zu üben, ist allemal besser, als schlechte Kritik zu üben.20
- Die beste Weise des Gebens besteht darin, seinen Dank zu geben.21
- Danken ist die höchste Form des Denkens.22
- Weihnachten steht im Widerspruch zum modernen Denken.
Weihnachten ist ein Hindernis für den modernen Fortschritt.
– Weihnachten fällt ein Urteil über die moderne Welt.23 - Die Freude, die wir an Weihnachten empfinden,
rührt aus dem Ernst, der in Weihnachten liegt.24
Literatur:
Chesterton, Gilbert Keith: Autobiographie (1936). Bonn 2002.
Chesterton, Gilbert Keith: Der unsterbliche Mensch (1925). Bonn 2011.
Chesterton, Gilbert Keith: Die englische Weihnacht. Bonn 2009.
Chesterton, Gilbert Keith: Die neue Weihnacht. Bonn 2004.
Chesterton, Gilbert Keith: Ketzer (1905). Frankfurt/M. 1998.
Miller, Daniel: Weihnachten. Das globale Fest. Berlin 2011. (URL)
Weblinks:
Zentrale Werke Chestertons sind zu finden unter OpenLibrary.
Ein hilfreiches Portal betreibt die amerikanische Chesterton-Gesellschaft.
Anmerkungen:
1 Heretics (1905), deutsch: Ketzer, Frankfurt/M. 1998, S. 99.
Zur Zitation: Bei den weiteren Chesterton-Zitaten handelt es sich, wo nicht anders angegeben, um eigene Übersetzungen aus dem Englischen.
2 Sidelights on New London and Newer York (1932) – They Are All Puritans
3 Illustrated London News, 20.04.1907
4 in: Erbe und Auftrag, Vol. 79, 2003, 451 – 463. Reiser, Marius: „Wie wahr ist die Weihnachtsgeschichte?“ S. 462
5 Daily News, 25.02.1911
6 Illustrated London News, 08.01.1910
7 G.K.’s Weekly, 03.03.1930
8 Unter Berufung auf die Dichterin Ricard Huch (“Tief innen ist jeder Mensch prophetisch”) kann Eugen Rosenstock-Huessy, der Sprach- oder besser Sprech-Denker, der sich auf ähnlich treffliche Prophezeihungen verstand wie Chesterton, plausibel machen, wie es zur besonderen Gabe der Prophetie kommen kann. Denn: “Jeder kann prophezeien.” Die prophetische Gabe stellt sich ein für jeden, der beharrlich an einem “Totalerlebnis” festhält. In diesem Umklammern tritt eine “Einheit” zutage, die “durch die Zeiten” reicht und diese einsehbar macht. So wird die „Prophetie“ zu einer „Grundtatsache unserer vernünftigen Existenz. Sie ist viel nötiger und viel vernünftiger als die doppelte Buchführung oder die Philosophie”. Rosenstock-Huessy führt dies u.a. aus in: Ja und Nein. Heidelberg 1968, S. 88 f..
9 Illustrated London News, 24.04.1909
10 Autobiography (1936) – How to Be a Lunatic. Deutsch: Autobiographie, Bonn 2002, S. 105.
11Ward, Maisie: Gilbert Keith Chesterton (1943) – The Notebook. Hier auch der Hinweis auf Botticelli.
12 G.K.’s Weekly, 13.12.1930
13 Illustrated London News, 20.12.1913
14 The Contemporary Review January 1910 – „The Theology of Christmas Presents“. Auch enthalten in: Die Neue Weihnacht (2004), S. 67 – 72. Vgl. auch das Porträt in: Karger, Michael – Lehre mich die Weihnachtskunst. Regensburg 2015. „Gilbert Keith Chesterton – Der Verteidiger des Weihnachtsfestes“, S. 111 -116.
15Daniel Miller in „Weihnachten. Das globale Fest. Berlin 2011“ bringt diesen Zusammenhang auf den Punkt und steuert hierzu überraschende Zahlen bei. Vgl. auch ders.: Der Trost der Dinge. Berlin 2010.
16 Vgl. das Kapitel „Der Gott in der Höhle“ in: Der unsterbliche Mensch. Bonn 2011, S. 169 – 186,
hier: S. 184, 193.
17 Christmas Books (1907 ), vgl. auch: Die englische Weihnacht, 139
18 Humour, Encyclopedia Brittanica 1929, XI, S. 883 – 885
19 Illustrated London News, 08.12.1906
20 Daily News, 01.03.1901
21 St. Francis of Assisi (1923) – The Testament of St. Francis
22 A Short History of England (1917) – The Age of Crusades.
23 G.K.’s Weekly, 07.12.1933
24 Illustrated London News, 21.12.1912, ebd. 04.01.1913
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