Die Inhalte auf einen Blick [Ausblenden]
- Der Kleinspender für die armen Leute
- Der Guerillero als Präsident
- Der Charismatiker
- Brunnen der Weisheit und Mund der Wahrheit
- Das Geheimnis des Spendens
- Globalisiertes Spenden
- Spenden im Dritten Jahrtausend
- Ein Denkmal für den unbekannten Spender''
- Zitate des Kleinspenders, die für sich sprechen
- Filmtipp: „Tage wie Nächte“
- Literatur
- Filme
- Anmerkungen
Der Kleinspender für die armen Leute
Auf der internationalen Forbes-Liste der Big Spender wird man sie vergeblich suchen: die Armen. Dem Club der Astro-Milliardäre – Bill Gates, Mark Zuckerberg, Waren Buffett, Jeff Bezos u.a. – gehören sie nicht an. Weder leben die Armen auf großem Fuß, noch besitzen sie genug Bares, das sie spenden könnten. Der Fall des Pflanzers und Blumenzüchters José Alberto Mujica Cordanos liegt anders – irgendwo zwischen den beiden Extremen. Er zählt nicht zu den Superreichen, bezieht aber ein durchaus beträchtliches Einkommen. Das Bemerkenswerte daran ist: Der ‚bewusst’ Arme lässt den größten Teil davon in öffentliche Spenden fließen. Immerhin fast eine Million Euro hat er so im Lauf der Jahre gespendet! Selber lebt der Kleinspender von 800 Euro im Monat.
Der Guerillero als Präsident
An seiner Wiege – geboren 1935 – ist ihm kaum gesungen worden, einmal ‚politisch’ zu werden, oder gar zum ‘Tupamaro’-Kämpfer zu werden und sich Uruguays Militärdiktatur entgegenzuwerfen. Doch das betreibt er vergeblich. Die ‚Junta’ ist es, die ihn umwirft. Sie lässt schießen. Wahllos. Mitten in Straßenaufstände. So wird Mujica abgeknallt. Sechs Kugeln landen in seinem Bauch. Überlebt hat er nur, weil ein Chirurg sich seiner erbarmt und intensiv gekümmert hat.
Das Leben ist Mujica so zwar erhalten geblieben, angeschlossen haben sich aber zwölf Jahre in schwerer Isolationshaft – und sieben weitere Monate unter Folter, eingezwängt in ein Erdloch. Dass es nicht noch endlose Jahre mehr geworden sind, verdankt sich allein der Tatsache, dass das Unrechtsregime im Jahr 1985 zusammengebrochen ist und daraufhin eine echte Demokratie erblüht ist. Kaum freigekommen jedenfalls, findet er sich alsbald in der Politik wieder. Er wird auch prompt gewählt. Zuerst zum Abgeordneten des Senats, danach zu dessen Vizepräsident und schließlich zum Minister.
Sein Schicksal ähnelt sehr dem Nelson Mandelas in Südafrika, Evo Morales in Kolumbien oder Aung San Suu Kyis in Myanmar. Im Jahr 2010 wird er – ganz wider seinen Willen, denn er sei dafür „zu alt“, befindet er – zum Staatspräsidenten seines Landes gekürt. Doch was ihm persönlich Mühe bereitet, das tut dem Land spürbar gut. Es gewinnt an Liberalität.
Uruguay hat in seiner Amtszeit die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert; es hat den Kampf gegen das Schattenregiment der Drogenbarone aufgenommen und Marihuana in einen staatlich geregelten Markt überführt. Außerdem folgt es der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen, punktet somit in Sachen Nachhaltigkeit. Darüber hinaus verfügt es über 5G-Mobilfunkstandard und nutzt überwiegend erneuerbare Energien. Im Glücks-Index steht es weit oben.
Gerne hätte man Mujica wieder gewählt, doch der sagt ‚Nein’ und setzt sich für generelle Amtszeitbegrenzung in der Politik ein. Einer, der „von der Welt nur nimmt, was er braucht“ und so erwachsen ist, ‚Genug ist genug!’ zu sagen, erliegt den Versuchungen der Macht nicht.
Während seiner Präsidentschaft glänzt er mit Bescheidenheit. Er verzichtet auf die Villa, die ihm zusteht. Genauso auch auf die zugehörigen vierzig Angestellten samt Fuhrpark. Ein hellblauer, klappriger „VW-Käfer“, Baujahr 1987, und sein „Schuppen“ am Rand von Montevideo – die „Chacra La Puebla“ – sie tun’s auch. Ob im Amt oder nicht – „Ich bleibe ja derselbe!“ –, schlüpft er in Gummistiefel und hält sein Gewerbe aufrecht. Er baut Chrysanthemen für den Markt an und pflanzt sein eigenes Gemüse – schon allein, „weil die Hände dem Denken helfen.“ Und auch fürs Spendenwesen tut der Kleinspender nach seiner Präsidentschaft alles, was er kann. Er will weiterhin spenden, solange er kann und „solange es Arme gibt, und Ärmste, und Allerärmste.“
Der Charismatiker
„El Pepe“, wie er im Volksmund nur genannt wird, gehört zu den gewinnendsten Persönlichkeiten seines Kontinents. Was ihn auszeichnet, ist seine aufs Notwendige beschränkte Lebensweise und die außerordentliche Spendentätigkeit, die er als Kleinspender daraus schöpft. Nicht nur das. Wem er begegnet, dem bringt er spontane Herzenswärme entgegen. Unüberhörbar klingen so auch die Reden, die er hält: überfließend, wärmend und erfrischend zugleich. Immer geschehen sie aus dem Stegreif heraus. Selten dauern sie unter einer Stunde. Ihr Ziel verlieren dennoch nie aus dem Auge. Erhaben über jeden Verdacht der politischen Korruption, kann Mujica mit seiner Glaubwürdigkeit trumpfen. Sie entwaffnet auch politische Gegner und lässt ihn beliebt sein bei jung und alt.
Die Zeit der Haft jedenfalls hat ihn nicht ‚brechen’ können. Im Gegenteil. Seine Träume haben unbeschadet überlebt: „Besiegt sind nur jene, die ihre Arme senken und ihre Träume aufgeben.“ – Seine Visionen stecken so sehr an, wie sein pragmatisches, unideologisches Denken inspiriert. Wenn manchen Ohren ungewohnt klingen mag, was er sagt – ‚Zu einfach!? –, so bedeutet das nicht, dass seine Äußerungen nicht stimmig wären und überzeugend. Das sind sie in hohem Maß! ‚El Pepe’ ist authentisch bis in jede Nervenfaser hinein. Wer ihm begegnet, der trifft auf eine mutige und glaubhafte Persönlichkeit, wie sie auf dem internationalen politischen Parkett ihresgleichen sucht.
Brunnen der Weisheit und Mund der Wahrheit
Ein bisschen wie Sancho Pansa – der Figur nach – und ein bisschen wie Don Quijote – seinen Reden nach –, beide in einem, so wandelt der nun über Achtzigjährige seiner Wege. Keinem Roman entspringt er, aber wie eine Romangestalt wirkt er, sprudeln doch die klugen Sentenzen nur so aus ihm heraus – fertig zum Mitschreiben. Film- und Buchautoren, die ihn umlagern, kommen mit dem Protokollieren kaum nach, derart im en gros sprüht er die Weisheiten von sich. Wenn Weisheit damit beginnt, sich nichts mehr weismachen zu lassen, von nichts und niemandem, dann lässt sich sagen: Mujica ist weise. Er ist nicht gläubig im konfessionellen Sinn, aber sicher – so Papst Franziskus – „ein weiser Mann“. Man darf sich überzeugen: Eine kleine Zitatesammlung in deutscher Sprache und Filme mit deutschen Untertiteln liegen vor.1
Gerne auch ungefragt plaudert er drauf los, ohne recht zu bemerken, wie außerordentlich es tatsächlich ist, was er seiner Zeit mitzuteilen hat. So unbedarft er sich dem ersten Blick darbietet – ein Gemütsmensch, gelassen in sich ruhend – ändert sich das im Augenblick, da der stets schmunzelnde Klops den Mund auftut. ‚Klops’ darf man getrost sagen, denn ausdrücklich als „Erdklumpen“ beschreibt er sich selber. Der Welt der Globalisierung dagegen – in der die einen berauscht nach Boni grapschen und die anderen begierig nach Schnäppchen jagen –, muss ein Eigendenker wie Mujica verdächtig bleiben. Sie muss ihn als Fremdkörper ausscheiden.
Allein durch seine bescheidene Lebensweise muss ein harmloser Erdenkloß, ein Kleinspender wie ‚El Pepe’, die neoliberale Wirtschaftswelt herausfordern. Gar einen, der den Konsumismus mit seinen planetarisch verheerenden Folgen vernichtend geißelt, den muss sie wie ein Wesen vom fremden Stern behandeln. Sie muss ihn möglichst totschweigen und in Quarantäne packen. Den rundlichen Kuschel-Opa, den Volks-Präsidenten zum Anfassen, darf sie nicht sein lassen, der er ist, sondern muss ihn isolieren wie einen scharfkantigen Meteorit aus dem Outer Space, der senkrecht von oben dreinfahren will, um die Geschäfte zu stören.
Und in der Tat: Die Schmunzelkugel nimmt selbst bei Reden vor den Vereinten Nationen (2013) kein Blatt vor den Mund. Ungerechtigkeit und Kolonialismus, „räuberische Konzerne“ und „imperialistische Lebensweise“ bezeichnet Mujica als das, was sie sind. Er prangert sie an, wo sie herrschen – und das tun sie auf breiter Front, nicht allein in Lateinamerika. Aber ‚El Pepe’ ist eben so frei, sie zu sagen, so geradeheraus wie sie gelegentlich gesagt sein will: die selten geliebte Wahrheit!
Das Geheimnis des Spendens
Die Vermutung liegt nahe, dass es Mujicas Wahrhaftigkeit ist – seine Menschenliebe, die von Wahrheitsliebe nicht zu trennen ist –, die den Kleinspender anhalten antreibt. Denn die Freude, Mujica ausstrahlt, ist so konstant wie seine Bescheidenheit. Freude und Bescheidenheit sind offenbar natürliche Geschwister. Sie gehe Hand in Hand. Die wunderbare Leichtigkeit, mit der sie aneinander wachsen und sich gegenseitig bestärken, dafür liefert Erdenkloß ‚Pepe’ das lebendige Beispiel. So kann ‚El Pepe’ die bescheidene, fröhliche Gelassenheit ausstrahlen, die aus dem Geben kommt – so sicher wie jeder Scheck hilft.
Denn es ist einfach nur wahr: Sogar jedes bisschen hilft, wenn es so sehr von Herzen kommt und so bedingungslos gegeben ist, wie bei dem Guerillero-Präsidenten. Wenn es frei gewährt ist, umsonst geschenkt ist, frei von Auflagen, rückhaltlos und vorbehaltlos, so generös wie genial, liebend und gerne gespendet ist. Dann – und vielleicht nur dann – entspringt daraus das, woraus nicht nur ‚El Pepe’ lebt und was das Geheimnis allen Spendens ausmacht: die schiere Freude! Nicht nur die Freude beim Spenden, wenn Augen zu glänzen beginnen, sondern vor allem die anhaltende, die bleibende, unzerstörbare Freude, die aus dem Spenden erwächst, weil sie aus dem Tun selber rührt! Wer das Spenden nicht ausübt, so bedeutet das auch, wird die Freude, die darin liegt – den Lohn des Spendens! –, nie erfahren.
Es ist wie in der Kunst. Auch die lebt nicht daraus, dass sie Dankbarkeit oder Bewunderung ‚ernten’, ‚gut ankommen’ oder sich ‚gut verkaufen’ wollte. Ihre Wurzeln reichen tiefer. Wer meint, Kunst als Geschäft betreiben zu können, praktiziert keine Kunst, sondern lediglich ein Geschäft. Nur wer erfährt ‚Der Lohn der Kunst liegt in der Kunst selbst!’, den ‚trägt’ sie auch. Dem trägt sie eine Freude ein, die nur dem tätigen, passionierten Künstler bekannt sein kann. In diesem Sinne zählt auch das Spenden zu den Künsten. Zu den Künsten, die jeden angehen. Denn auch Kleinspender wie Mujica bedeuten einen Unterschied. Spendentätigkeit ist ein wesentliches Element der Lebenskunst!
Globalisiertes Spenden
IIm ‚Informationszeitalter’, wo jeder von jedem weiß oder wissen ‚könnte’, kommen unwürdige Produktionsbedingungen ans Tageslicht. Harte Kinderarbeit in Hinterhöfen, Frauenarbeit in ruinösen Sweatshops, Männerarbeit in ‚Blutminen’, direkte Zwangsarbeit, sie lassen nicht länger hinweg eskamotieren. Sklavenhalter und Sklaven werden einander ansichtig, und sei es gegen deren Willen. Das verborgene Ende der Lieferkette wird unvermeidlich sichtbar, Und siehe: Daran hängen die Ökologie des Planeten und daran hängen Menschen! Sie hängen ab von der supply chain, der globalisierten kapitalistischen ‚Beutekette’, von der sie abhängig ‚gemacht’ worden sind.
Wie viele Menschen letztlich daran hängen? Wie viele Lohn- und Schuldsklaven der westliche Lebensstil auf diese Weise ‚hält’? Bezogen auf jeden einzelnen? Das lässt sich durchaus angeben. Statistisch gesehen, weiß Wirtschaftsprofessorin Evi Hartmann, sind es etwa sechzig!2 In solchen Zeiten, bei derart schiefen Verhältnissen, bedeutet es nichts Großes, sondern das Mindeste, das menschlich Gebotene, national und international für gerechten Ausgleich zu sorgen.
Wenn es schon nicht gelingen will, das gesamte Wirtschaftssystem auf einen Schlag umzubauen und in Nachhaltigkeit zu überführen, eröffnet sich auch für Kleinspender zumindest ein gangbarer ‚Weg’ dazu. Nicht zufällig steht das UN-Ziel „Keine Armut mehr bis spätestens 2030“ (SDG 1) auf Platz Eins der „17 Ziele der nachhaltigen Entwicklung“. An dieser Stelle also ließe sich beginnen, um großzügig und großflächig zu spenden! Oder wie ‚El Pepe’ in seiner schlichten Weise sagt: „Es ist Zeit!“ – Wir haben „neue Wege“ zu gehen: „Wir müssen mit dem Geben anfangen!“
Spenden im Dritten Jahrtausend
Sollte das Dritte Jahrtausend – wir sind darin angekommen! – jemals all den namenlosen Kleinspender ein Denkmal widmen wollen – „Zum Dank an die unbekannten Spender“ und ein physisches Vorbild dafür suchen: ‚El Pepe’ wäre ein geeigneter Kandidat dafür. Zumal versäumt wurde, ihm den Friedensnobelpreis zuzusprechen, stünde ihm ein Denkmal auch sicher zu. Zumindest eine ansehnliche ‚kugelrunde Skulptur’ würde er abgeben. Und ‚namentlich’ als Person auf einem Sockel aufzutauchen, das lehnt der Erdklumpen ja schon heute ab.
Mujica, der „Anti-Politiker“ als der er bisweilen apostrophiert wird, Mujica, der ‚Anti-Talleyrand’ – frei von jeglichem Zynismus, frei auch von jeder Vermögensanhäufung –, er wäre tatsächlich eine gültige Verkörperung des „Samariters im dritten Jahrtausend“. Das mögen Dutzend-Figuren sein, Frau oder Herr ‚WerauchImmer’, d.h. x-beliebige „Erdklumpen“, die sich aber dadurch auszeichnen, dass sie sich gerade in der Not als „Nächste“ herausstellen: als diejenigen, die ‚wirklich’ helfen.
Zu diesem schlichten Akt fähig zu sein, bedeutet Mensch zu sein (hebr. adam = der von der Erde – adamah – genommen ist oder lat. homo, humanus = der aus dem Humus stammt). Letztlich ist ein Mensch ein Erdklumpen, aber einer, der weiß, wie ‚schwer’ er dem Erdreich anhaftet und der das aber auch ‚sagen’ kann. Wer wie ‚El Pepe’ sagen kann, „Ich bin ein Erdklumpen mit Füßen!“, beweist den geistigen Atem, den braucht, wer tief in irdische Angelegenheiten verwickelt ist – wenn nicht gar darin feststeckt – und als Mensch überleben will. Und vielleicht entdeckt, wer – wie ‚El Pepe’ ein unfreiwilliges Erdlabor-Experiment hinter sich gebracht hat, am ehesten die Gabe, die jeder Erdenschwere entheben kann.
Denn hier spricht einer aus Erfahrung: „Gefängnisse sind Sprachlabore. Sprache verändert sich im Untergrund.“ – Möglicherweise liegt darin ein weiteres Geheimnis von ‚El Pepe – Der die Gabe des Gebens besitzt!’, wie ein Buch- oder Filmtitel lauten könnte. Denn offenbar nicht nur das Sagenkönnen macht leicht, auch das Spendenkönnen schafft Leichtigkeit. Dass das Spenden den Geldbeutel erleichtert, ist dabei nur die eine Seite. Die andere schafft das leichte Herz, das mit keinem Geld der Welt zu bezahlen ist!
Ein Denkmal für den ‘unbekannten Spender’
Der Samariter des Dritten Jahrtausends, der ‚Anonymus’, der sich als der ‚wirklich’ Nächste erweist, er könnte gut und gerne den Allerweltsnamen ‚Pepe’ tragen. Er würde aus dem „Barmherzige-Samariter-Zustand“ heraus agieren, in dem niemand im Voraus wissen kann, wem es zukommt, aus innerer Freiheit heraus der ‚Nächste’ und entscheidend ‚Handelnde’ zu sein. In vorliegenden Fall eben: ‚El Pepe’, der Guerillero, der Gefangene, der Pflanzer, der Senator, der große Kleinspender und ‚El Pepe’, selbst einmal das Opfer gewesen ist, das im Straßengraben gelegen hat und Hilfe erfahren durfte! ‚El Pepe’, das Folteropfer im Erdloch hier – und ‚El Pepe’, der bescheidene Präsident dort – sie würden in Personalunion das Kriterium erfüllen, trotz aller Widrigkeiten als freier Mensch ‚unabsehbar zu bleiben’, rundum erfüllen.
‚Unabsehbar, ein „unbezahlbarer Mensch“4 zu bleiben, ist auch das Kriterium, das Sprachdenker und Soziologe Rosenstock-Huessy anlegt. Im Dritten Jahrtausend gilt es, sich nicht länger in Glaubenskämpfen zu verheddern oder sich in Kalküle einspannen zu lassen. Viel eher heißt es, sich die Freiheit zu bewahren, um das bisschen Menschlichkeit aufzubringen, auf das es immer wieder ankommt. Sei es zur Wahrung der eigenen Würde oder der Würde anderer. Allemal wichtiger als Amtspersonen, Fachleute – Funktionäre, Spezialisten, Experten, Professionals –, erweisen sich die dahergelaufenen ‚No Names‘, Menschen wie du und ich – ‚El Hombre’, ‚El Hembra’, ‚El Loco’ –, eben die, die so viel common sense aufbringen und so ausgeschlafen sind, um im entscheidenden Augenblick ‚da’ zu sein und Hilfe zu leisten.
Es sind bekanntlich jeweils die ‚Unbekannten in der Gleichung’, die zu Ergebnissen führen – nicht allein in der Mathematik. Weder Regierungen noch NGOs, weder Ingenieurs- noch organisierte Hilfsprojekte, nicht einmal Wagenladungen voller Geld, sondern allein ‚Lieschen Müller’, ‚Mister X’ und ‚Madame sans nom’, einzig die namenlosen Helden, die unbekannten Helfer, verfügen über die nötige Freiheit, um im Ernstfall den ‚Joker’ zu spielen, der ein Blatt ‚wirklich’ wenden kann.
Allein sie auch sind es gewesen, die den ‚guten Menschen aus Montevideo’ in seinem Erdloch immerfort mit Hoffnung beimpft haben. Die ihn mit Freude angesteckt und ihm Gebete geschickt haben. An sie dachte er, wenn sein Lebensmut sinken wollte. Viele Freunde und noch mehr Unbekannte sind es gewesen, die ‚El Pepe’ durchs Leben getragen, die ihm Gebete ‚gespendet’ haben und zu jenem rundherum freien Menschen haben heranreifen lassen, als den man ihn kennt: ‚El Pepe’, den Kleinspender resp. Großspender der anderen Art.
‚El Pepe’ hat von der süßen Versuchung der Macht gekostet und sie zurückgewiesen. Zugleich hat er bewiesen: Auch ein Kleinspender, ein einzelner schwacher Mensch, kann viel bewirken. Obendrein hat er Schweres durchlitten – das Schlimmste – wahrlich! Aber statt Hass zu nähren, bedankt er sich: durch Spenden!
Zitate des Kleinspenders, die für sich sprechen
„Arm ist nicht derjenige, der wenig besitzt, sondern derjenige, der immer mehr benötigt.“
„Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, etwas zu bekommen, sondern etwas zu geben.“ – „Es gibt immer etwas, das du anderen geben kannst.“
„Macht verändert Menschen nicht, sie fördert lediglich zutage, wie sie wirklich sind.“
„Um zu leben, braucht man Freiheit. Und um Freiheit zu haben, braucht man Zeit. Wenn ich mich um ein großes Haus kümmern muss, um dieses und jenes, dann bleibt mir doch keine Zeit mehr. Ich bevorzuge, so viel Zeit wie möglich zu haben, um das zu tun, was mir gefällt. Und das ist die Freiheit. Ich lebe so schlicht, um viel Zeit zu haben.“ – „Wahre Freiheit besteht darin, nur wenig zu benötigen“.
„Ein besseres Leben zu haben bedeutet nicht, mehr zu haben, sondern glücklicher zu sein.“
„Wir versprechen ein Leben des Konsums und der Verschwendung. Aber damit leiten wir nur den Countdown gegen die Natur ein und gegen die Zukunft der Menschheit.“
„Was als ‚ökologische Krise des Planeten‘ bezeichnet wird, ist nichts anderes als menschliche Großmannssucht: Dieser Triumph ist gleichzeitig unsere Niederlage.“ (vor der 68. Generalversammlung der Vereinten Nationen, 2013)
Filmtipp: „Tage wie Nächte“
‚El Pepes‘ Mithäftlinge Mauricio Rosencof und Eleuterio Fernández Huidobro erzählen das Martyrium ihrer „Kerkerjahre“ im gleichnamigen Buch. Gerade ist es in Neuauflage erschienen (vgl. Literaturangaben): „Wir waren nun keine Gefangene mehr, sondern Geiseln – informierten uns die Militärs. Wenn die Tupamaros noch mal eine Aktion durchführen würden, wären wir dran. Festgehalten wurden wir in unterirdischen Zellen, in die kaum Luft drang. Wir durften uns weder sehen noch miteinander reden.“ Aktuell, auf Grundlage dieses romanartig erzählten Berichts, hat Álvaro Brechner einen zweistündigen Spielfilm („La Noche des 12 Anos“) gedreht, der auf den Filmfestivals Furore auslöst und bereits mehrfach mit Preisen bedacht worden ist. Unterm Titel „Tage wie Nächte“ (Trigon-Film) ist er in die deutschen Kinos gekommen. (Trailer).
Literatur:
- Angelucci, Nadia; Tarquini, Gianni: Il presidente impossibile. Pepe Mujica, da guerrigliero a capo di stato.
Roma 2017. - Cencio, Andrés: Pepe Mujica, palabras y sentires. Chicago 2020. (URL)
- Cervigni, MR Lucas: Mujica. The wisdom of ‘the worlds most humble president’. New York 2015.
- Danza, Andrés; Tulbovitz, Ernesto: Uma Ovelha Negra no Poder. Confissões e Intimidades de Pepe Mujica.
Rio De Janeiro 2015. (URL) - Gilio, María Esther: Pepe Mujica. De tupamaro a Presidente. Buenos Aires 2010.
- Gregory, Stephen: Jose Pepe Mujica. Warrior – Philosopher – President. Eastbourne-Chicago 2016.
- Klein, Dario: Vote and See. A Conversation with Pepe Mujica. Wilmington 2018.
- Mujica, José ‘Pepe’: La felicità al potere. Roma 2018.
- Mujica, José ‘Pepe’: Los Laberintos de la Vida. Diálogo con Kintto Lucas. Quito 2019.
- Mujica, José ‘Pepe’: Non fatevi rubare la vita. Roma 2018.
- Mujica, José ‘Pepe’: Palabras y sentires de Pepe Mujica. Vilassar de Dalt 2019.
- Percy, Allan: Mújica. Una biografía inspiradora. Barcelona 2015. (URL)
- Percy, Allan; Díaz, Leonardo: Pepe Mujica. Simplesmente Humano. Rio de Janeiro 2015. (URL)
- Rabuffetti, Mauricio: Mujica. A revolução tranquila. Rio de Janeiro 2015.
- Rosencof, Mauricio; Huidobro, Eleuterio Fernández: Memorias del calabozo.
(deutsch: Kerkerjahre. Als Geiseln der Militärdiktatur in Uruguay. Berlin 2019 .) (URL)
Filme:
Pepe Mujica – Der Präsident. R Heidi Specogna. D 2015 (OmU). (Trailer)
Pepe Mujica – Ein Präsident aus Uruguay. R Heidi Specogna. D Arte Doku 2017 (OMU). (Youtube).
El Pepe – Una vida suprema. (El Pepe – A Supreme Life). R Emir Kusturica. ARG, UR 2018 (OMU, engl). (Trailer)
Anmerkungen
- Mujica, José ‘Pepe’: Worte des ‘ärmsten Präsidenten der Welt’. Frankfurt/M. 2018.
Die erwähnten Zitate stammen hieraus. Zu den Filmangaben, siehe oben. - vgl. Hartmann, Evi: Wie viele Sklaven halten Sie? Über Globalisierung und Moral. Frankfurt/M. 2016.
Nicht nur der persönliche ökologische Fußabdruck lässt sich berechnen (www.fussabdruck.de),
sondern auch der persönliche Sklavenhalterindex (slaveryfootprint.org). - Mujicas legendäre UN-Rede 2013 liegt leider nur in englischer Übersetzung vor (Youtube)
- Rosenstock-Huessy, Eugen: Der unbezahlbare Mensch. (urspr.: The multiformity of man, 1935). Berlin 1955. Enthalten auch in: Hermeier, Rudolf (Hg.): Eugen Rosenstock-Huessy – Unterwegs zur planetarischen Solidarität. Münster 2006. (PDF)